DIE WELT | 31.07.2021

Schule in Investorenhand

 

Gut 46 Milliarden Euro müssten die deutschen Kommunen investieren, um Schulen zu sanieren und zu bauen. Das brandenburgische Zossen hat eine andere Lösung gefunden: Es mietet den Neubau von einer privaten Firma. Ein Modell für Deutschland?

Der 9. August wird ein spannender Tag für rund tausend Schüler in der brandenburgischen Gemeinde Zossen. Es ist nicht nur ihr erster Schultag nach den Sommerferien, sondern auch das erste Mal, dass sie im Neubau der Geschwister-Scholl-Schule im Ortsteil Dabendorf unterrichtet werden. Neben Klassenräumen für die Sekundarstufen 1 und 2 gehört ein Mehrzweckgebäude mit Aula und Mensa zum Projekt, für das die Bauarbeiten im Oktober 2018 begonnen haben.

Spannend ist die Zossener Schule aber auch für Kämmerer in anderen deutschen Städten. Denn die Kosten von 47 Millionen Euro trägt nicht die Gemeinde, sondern zum großen Teil ein privater Investor: die deutsche Tochtergesellschaft des schwedischen Immobilienunternehmens Hemsö, die damit zum ersten Mal in Deutschland eine Schule gebaut hat.


Geht es nach dem Willen von Jens Nagel, soll es nicht bei diesem einen Projekt bleiben. „Wir möchten, dass mehr privates Geld in den Bildungssektor fließt“, sagt der Geschäftsführer der Hemsö GmbH, die ansonsten vor allem Pflegeheime in ihrem Portfolio hat. „Das ist in unseren Augen dringend nötig, weil beim baulichen Zustand der Schulen keine Besserung festzustellen ist.“ Tatsächlich beträgt laut dem jährlichen Kommunalpanel der staatlichen Förderbank KfW der bundesweite Investitionsrückstand im Schulsektor nicht weniger als 46,5 Milliarden Euro und damit fünf Prozent mehr als im Jahr 2020. Wie dramatisch die Situation ist, zeigt ein Blick auf die thüringische Landeshauptstadt Erfurt: Dort fehlen nach Angaben der Stadt 370 Millionen Euro für die Schulsanierung, wobei in dieser Summe die Errichtung von Neubauten und die Schaffung von Ausweichstandorten noch nicht einmal enthalten sind. Um den Schulbetrieb überhaupt aufrechterhalten zu können, müssen Schulen an einzelnen Erfurter Standorten Container nutzen oder sich Unterrichtsräume mit einer anderen Schule teilen.

Auch in Zossen – einer 20.000 Einwohner zählenden, stark wachsenden Gemeinde südlich von Berlin – war die Not groß. Denn ebenso lange wie vergeblich versuchte die Kommune, die Genehmigung zu bekommen, für den Bau der dringend benötigten Schule einen Kommunalkredit aufnehmen zu dürfen. Als die Aufsichtsbehörde diese Genehmigung versagte, übertrug die Stadt das Vorhaben an die im städtischen Eigentum befindliche Zossener Wohnungsbaugesellschaft – doch auch die Hoffnung, vom Land Brandenburg Fördermittel zu erhalten, zerschlug sich. 2018 trat dann Hemsö als Retter in der Not auf den Plan: Das private Immobilienunternehmen gründete zusammen mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ein Joint Venture, an dem Hemsö 90 Prozent hält. Die Stadt mietet die fertige Schule für 20 Jahre von ihrer Wohnungsbaugesellschaft, die sie ihrerseits vom Joint Venture mietet. „Falls wir unsere Anteile am Gemeinschaftsunternehmen verkaufen sollten, hat die Stadt Zossen ein Vorkaufsrecht“, erläutert Hemsö-Chef Nagel. „Allerdings sehen wir unser Engagement langfristig und setzen auf eine Verlängerung des Mietvertrags. Denn wir erwarten, dass die Einwohnerzahl von Zossen auch in Zukunft wachsen wird.“ Nagel zufolge ist sein Unternehmen mit weiteren Städten über ein mögliches Engagement im Schulbereich im Gespräch. Allerdings verhehlt er nicht, dass er „ein viel größeres Interesse“ erwartet habe. „Bei den Kommunen“, sagt er,„gibt es große Berührungsängste vor einer Zusammenarbeit mit privaten Investoren im Bildungsbereich.“

Das kann Patrik Fahrenkamp bestätigen. Der Vorstandsvorsitzende der Leipziger Stadtbau AG musste im Juni erleben, dass der Leipziger Stadtrat ihm einen dicken Strich durch die Investitionsrechnung machte: Das Parlament der Messestadt lehnte ein in langen Verhandlungen ausgearbeitetes Modell ab, bei dem die Leipziger Stadtbau (bei der es sich trotz ihres Namens um eine private Aktiengesellschaft handelt) eine vierzügige Grundschule mit Turnhalle an der Kurt-Eisner-Straße hätte bauen sollen. Ursprünglich geplant war, dass die Stadt das Gebäude für zehn oder 25 Jahre mieten würde. „Auf Wunsch der Stadt machten wir daraus ein Mietkaufmodell“, sagt Fahrenkamp. „Nach drei Jahren hätte die Stadt die Schule kaufen können.“ Ein Millionengrab sei dieses Investorenmodell, sagte Katharina Krefft, Co-Fraktionsvorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, im Vorfeld der Stadtratsentscheidung. Sie und andere Kritiker sahen es vor allem als problematisch an, dass die Leipziger Stadtbau als Kompensation für das Grundstück, das sie für den Bau der Schule zur Verfügung stellen wollte, mehrere attraktive städtische Grundstücke hätte bekommen sollen. Zudem stehe zu befürchten, dass mit der Investorenlösung an baulichen Standards gespart werde, sagte Krefft. Und nicht zuletzt wäre die Mietkaufoption nach ihren Angaben die Stadt teurer zu stehen gekommen als ein Bau in städtischer Verantwortung.

Dem widerspricht Stadtbau-Chef Fahrenkamp: Nach seinen Worten wäre der Kaufpreis für die Stadt niedriger gewesen als die Kosten, die sie für den Bau einer vergleichbaren Schule selber hätte aufbringen müssen. „Auch die Miete wäre günstiger gewesen als die Miete, welche die Stadt schon heute bei einer vergleichbaren Maßnahme an ihre eigene städtische Gesellschaft zahlt.“ Auch ganz grundsätzlich gebe es gute Gründe, private Investoren beim Schulbau einzubeziehen. „Die kommunale Beschaffung läuft schematisch ab und erlaubt es nicht, Synergien zu nutzen“, erläutert Fahrenkamp. „Eine Sporthalle auf dem Dach eines Supermarkts zum Beispiel kann eine Kommune nur schwer realisieren.“

Andere Städte haben sich für ein Modell entschieden, bei dem sie zwar Eigentümer des Schulgebäudes bleiben, bei dem aber ein privates Unternehmen Bau und Betrieb der Schule übernimmt. Öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) oder Public Private Partnership (PPP) nennt sich dieses Modell, auf das beispielsweise Köln setzt. 2017 vergab die Domstadt ein 214 Millionen Euro schweres Paket für die Sanierung und Erweiterung von vier Schulen an das Unternehmen Vinci Facilities SKE. Die für die städtischen Gebäude zuständige Gebäudewirtschaft der Stadt Köln zieht ein positives Zwischenfazit: Zwar sei bei mehreren Projekten mit Kostensteigerungen von zehn bis 15 Prozent zu rechnen; diese Zunahme liege jedoch „deutlich unterhalb der marktüblichen Kostensteigerungen bei vergleichbaren Bauprojekten“, heißt es in ihrem jüngsten Bericht zur Evaluation der ÖPP-Projekte. Bauverzögerungen könnten minimiert werden, da der private Partner von einer möglichst zeitnahen Fertigstellung profitiere. Zudem sei Vinci an einer hohen Bau- und Sanierungsqualität interessiert, da das Unternehmen für 25 Jahre den Betrieb der Immobilien übernehme und deshalb Kosten in der Betriebsphase sparen wolle.

Allerdings waren die Erfahrungen mit ÖPP-Projekten im Schulbau nicht überall positiv – Schlagzeilen machten etwa vor Jahren Kostensteigerungen im Landkreis Offenbach. Jens Nagel von Hemsö sieht denn auch in schlechten Erfahrungen mit ÖPP-Projekten einen Grund dafür, dass viele Kommunen nichts von der Zusammenarbeit mit einem privaten Investor wissen wollen. Hinzu kommt die grundsätzliche Skepsis, ob es legitim ist, mit einer Institution, die der Daseinsvorsorge dient, eine Rendite zu erzielen. „Eine Grundschule“, sagt beispielsweise Tobias Peter, Co-Fraktionsvorsitzender der Grünen im Leipziger Stadtrat, „ist kein Gewerbeobjekt, bei dem ich ortsübliche Gewerbemietpreise aufrufen kann.“ In anderen Bereichen des Bildungswesens sind Investoren hingegen erfolgreicher. So sind Hochschulflächen nicht selten in Gebäuden untergebracht, die privaten Eigentümern gehören. Gerade erst hat beispielsweise die zur Versicherungsgesellschaft Swiss Life gehörende Corpus Sireo insgesamt 31.000 Quadratmeter Fläche in zwei Gebäuden für 15 Jahre an die Universität Bonn vermie-tet. Die Universität benötigt die Flächen, weil ihr barockes Hauptgebäude saniert wird.„Bei Einrichtungen der Erwachsenenbildung sind die Vorbehalte gegen private Investitionen weniger ausgeprägt als bei öffentlichen Schulen“, stellt Jens Nagel von Hemsö fest. Im vergangenen Jahr gelang es seinem Unternehmen denn auch, ein Ausbildungszentrum des Bundeskriminalamts in Wiesbaden zu erwerben.

Auch bei Privatschulen sehen Investoren Chancen. Vor Kurzem hat die Frankfurter Investmentgesellschaft NEXT Generation Invest GmbH bekanntgegeben, die Mehrheit der Anteile an einer Gesellschaft zu übernehmen, die einen Neubau für die Offene Schule Köln plant. Dabei handelt es sich um eine staatlich genehmigte Ersatzschule in privater Trägerschaft. Interessant ist die Begründung des Ankaufs: Die NEXT Generation Invest ist auf sogenanntes Impact Investing spezialisiert. Gemeint sind damit Investitionen, die eine positive Wirkung auf die Gesellschaft ausüben. Bei der Schule spiele „insbesondere die soziale Wirkung in Breite und Tiefe eine übergeordnete Rolle“, lässt sich Oliver Grossmann, geschäftsführender Gesellschafter von NEXT Generation In-vest, in einer Mitteilung zitieren. Jens Nagel von Hemsö hat derweil noch ein anderes Argument parat, das in seinen Augen für private Investitionen in Schulen spricht: „Die skandinavischen Länder, die hierzulande ja oft als Vorbilder gelten, haben keine Vorbehalte dagegen, private Investoren in den Schulbau und die Schulsanierung einzubeziehen.“ Vielleicht ändert sich das aber auch hierzulande: Die Gebäudewirtschaft der Stadt Köln jedenfalls sucht derzeit „Investor*innen, die auf eigenen Grundstücken erforderliche Schulflächen errichten und uns nach Fertigstellung zur Anmietung anbieten“.

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